Warum es so schwer ist, eine Siegeraktie wie NVIDIA wirklich durchzuhalten
Wenn man heute auf die Kursentwicklung von NVIDIA blickt, sieht es aus wie eine glasklare Erfolgsgeschichte. Aus wenigen Cent wurden über die Jahre weit über hundert Euro. Wer 2005 gekauft hätte, wäre heute Millionär. Rückblickend wirkt das logisch, vielleicht sogar unausweichlich.
Doch diese Sichtweise ist falsch.
Denn wer NVIDIA wirklich seit 2005 gehalten hätte, hätte nicht nur Geduld beweisen müssen. Er hätte mehrfach sein eigenes Investment-Narrativ komplett neu erfinden müssen. Und genau daran scheitern fast alle Anleger.
NVIDIA 2005: Eine reine Gaming-Firma
Wer 2005 NVIDIA gekauft hat, tat das aus einem klaren Grund:
Sie bauten Grafikkarten für PC-Spiele. Gaming war der Kern, das Narrativ, die Überzeugung. Die bekannten Marken lauteten GeForce, DirectX, Shader, Frames per Second.
Von künstlicher Intelligenz war keine Rede.
Von Cloud-Infrastruktur schon gar nicht.
Das gesamte Unternehmen war ein Zulieferer für den Gaming-Markt – und nicht mehr.
Die Firma veränderte sich – und der Anleger hätte sich mitverändern müssen
Zwischen 2005 und heute hat NVIDIA sein Geschäftsmodell radikal gewandelt. Nicht einmal, sondern mehrfach.
Ein Anleger hätte diese Phasen akzeptieren müssen:
Phase 1: 2005–2010
Gaming wächst, Nvidia liefert starke GPUs.
Das ursprüngliche Narrativ passt.
Phase 2: 2010–2015
CUDA, GPU-Computing, parallele Verarbeitung.
Plötzlich spricht NVIDIA von wissenschaftlicher Simulation, Rechenzentren und neuen Industrien.
Für viele Gaming-Anleger passt das nicht mehr.
Phase 3: 2015–2020
Deep Learning entsteht. GPUs werden der Standard für neuronale Netze.
NVIDIA wird ein Datacenter-Unternehmen.
Das ursprüngliche Narrativ zerfällt endgültig.
Phase 4: 2020–2025
NVIDIA wird zur globalen Infrastruktur der KI.
Die Gaming-Abteilung ist nur noch ein Nebenprodukt.
Keiner dieser Schritte war 2005 vorhersehbar.
Ein Anleger hätte also nicht einfach die Aktie gehalten – er hätte sein gesamtes Verständnis des Unternehmens mehrfach korrigieren müssen.
Die meisten Anleger halten nicht das Unternehmen – sie halten ihr Bild davon
Und genau das ist das Problem.
Ein Investor kauft eine Aktie nicht nur wegen der Zahlen, sondern wegen des Narrativs, das er dazu im Kopf trägt.
Wenn sich dieses Narrativ ändert, passiert Folgendes:
- Die emotionale Bindung bricht.
- Man versteht das Unternehmen weniger als vorher.
- Man hat das Gefühl, „etwas nicht mehr einschätzen zu können“.
- Man fühlt sich mit der neuen Story unwohl.
- Man verkauft.
Man hält also nicht das Unternehmen – man hält das alte Bild davon.
Und wenn das Bild bröckelt, steigt man aus, selbst wenn die Firma auf dem richtigen Weg ist.
NVIDIA wäre ein Test der eigenen Flexibilität gewesen
Wer NVIDIA 20 Jahre lang gehalten hätte, hätte vier Dinge akzeptieren müssen:
- Mein ursprüngliches Narrativ ist falsch geworden.
- Ich muss mein Verständnis komplett neu ordnen.
- Das Unternehmen entwickelt sich schneller, als ich es begreifen kann.
- Ich muss bereit sein, mich selbst zu widerlegen.
Die meisten Menschen wollen aber nicht Recht geben – sondern Recht behalten.
Doch um NVIDIA zu halten, hätte man genau das Gegenteil tun müssen.
Die vertausendfache Kurssteigerung ist sichtbar – die geistige Arbeit dahinter nicht
Die reine Rendite ist spektakulär:
Von etwa 16 Cent im Jahr 2005 auf rund 169 Euro heute.
Doch diese Kurve erzählt nicht die psychologische Wahrheit:
- Sie erzählt nichts von den 50-%- und 80-%-Crashes.
- Sie erzählt nichts von den Phasen jahrelanger Seitwärtsbewegung.
- Sie erzählt nichts davon, wie schwer es ist, einem Unternehmen zu vertrauen, das sich in „fremde“ Märkte bewegt.
- Sie erzählt nichts davon, wie oft man die eigene Meinung revidieren müsste.
Der Chart zeigt die technische Reise.
Die wirkliche Reise fand im Kopf des Anlegers statt.
Fazit
Eine Gewinneraktie zu halten bedeutet nicht nur, Geduld zu haben.
Es bedeutet, sich selbst mehrfach zu überarbeiten.
Es bedeutet, das Narrativ anzupassen, wenn das Unternehmen sich verändert.
Es bedeutet, bereit zu sein, sich im Licht neuer Informationen zu korrigieren.
NVIDIA ist nicht nur ein Beispiel für technologischen Wandel.
Es ist ein Beispiel dafür, wie schwer es ist, als Anleger mitzuwachsen.
Die Firma ist gewachsen – aber nur sehr wenige Anleger waren bereit, mit ihr mitzuwachsen.