Das Haus mit der IBAN

Das Haus mit der IBAN
Photo by Rowan Heuvel / Unsplash

Eine fiktive Geschichte darüber, wie Eigentum digitalisiert – und verfügbar – werden könnte

Deutschland, Frühjahr 2033.

Der Brief kam an einem Mittwoch.
Ein unscheinbarer Umschlag vom Finanzamt, sachlicher Betreff:
„Information zum neuen Eigentumskonto“

Thomas Brunner, 56, selbstständiger Handwerker, legte ihn beiseite.
„Bestimmt wieder irgendwas mit der Grundsteuerreform“, murmelte er.
Am Wochenende öffnete er ihn dann doch.

„Ab 1. Juli 2033 werden Grundsteuern und kommunale Abgaben zentral über das neue Immobilienkonto (Immo-Konto) abgewickelt.
Ihr Objekt erhält dafür eine eindeutige IBAN-Nummer.
Bitte richten Sie einen Dauerauftrag in Höhe von 150 € pro Quartal ein.“

Thomas zuckte mit den Schultern.
Ein weiteres digitales Formular, ein weiteres Konto.
Er loggte sich auf dem neuen Portal ein – modernes Design, EU-Logo, alles wirkte professionell.
Kontostand: 0,00 €
Darunter: „Fälligkeit: Grundsteuer Q3 – 150 € bis 15. Juli, zinsfrei bei Zahlung innerhalb von 10 Tagen.“

Er richtete den Dauerauftrag ein, klickte auf „verstanden“ und schloss den Laptop.
Nichts Ungewöhnliches.


Ein Jahr später

In der Tagesschau lief ein kurzer Beitrag.

„Ab sofort können Eigentümer über ihr Immo-Konto eine freiwillige Liquiditätsreserve aktivieren – bis zu 10 000 € Dispolimit.
Damit soll verhindert werden, dass verspätete Zahlungen sofort zu Mahngebühren führen.“

Ines, seine Frau, sah auf. „Gar nicht schlecht. Wenn man mal knapp bei Kasse ist, spart das Ärger.“
Thomas nickte. „Solange man’s nicht braucht.“

Ein paar Wochen später kam Post:
„Ihnen wurde automatisch eine Kreditlinie in Höhe von 10 000 € eingerichtet. Zins: 10 % p. a. – nur bei Nutzung.“
Sie dachten sich nichts dabei.
Die Konten blieben bei null.


Der Sommer 2035

Europa steckt in einer Wirtschaftsflaute.
In den Nachrichten häufen sich Berichte über steigende Staatsverschuldung.
Anfang August hält der Finanzminister eine Pressekonferenz.

„Zur Stabilisierung der kommunalen Infrastruktur wird eine befristete Infrastrukturumlage von 1 000 € pro Immobilie eingeführt.
Niemand muss sofort zahlen – der Betrag wird automatisch auf das Immo-Konto gebucht und kann zinsfrei innerhalb von 90 Tagen beglichen werden.“

Thomas hört nur halb zu.
Er hat Arbeit, Aufträge, Rechnungen.
Er denkt: Wird schon seine Richtigkeit haben.

Am Abend loggt er sich ins Portal ein.
Kontostand: –1 000,00 €
Darunter: „Tilgung freiwillig. Zins ab 1. November: 10 % p. a.“
Er zuckt mit den Schultern. „Mach ich im Winter, wenn die Liquidität besser ist.“


Drei Jahre später

Das Minus steht bei –1 330 €.
Er hat es verdrängt.
Die Beträge sind klein, die Zinsen unauffällig, alles läuft automatisch.

Als er das Haus verkaufen will, sagt der Notar beiläufig:
„Sie haben da eine staatliche Forderung auf dem Immo-Konto. Wird beim Verkauf verrechnet.“
„Wie bitte?“
„Ganz normal. Die Immobilie haftet für das Konto. Restschuld plus Zinsen – 1 870 €. Wird automatisch abgezogen.“
Thomas will protestieren, lässt es dann aber.
Es ist keine Strafe, kein Verfahren – nur ein Datensatz.


Im Finanzministerium

Zur gleichen Zeit sitzt Jonas Keller, Abteilungsleiter im Referat „Digitale Abgabenströme“, vor einem Ausschussbericht.
Die Bilanz sieht gut aus:

  • Zahlungsausfälle: 0,02 %
  • Zinsaufkommen: 3,8 Mrd. € jährlich
  • Systemakzeptanz: über 95 %

Er lächelt. „Läuft stabil.“
Die EU will das Modell übernehmen.
Im Bericht steht:

„Deutschland hat bewiesen, dass Immobilieneigentum als liquide, belastbare Fiskalbasis dienen kann.“


Epilog

Thomas sitzt auf der Terrasse.
Er hat das neue Haus fast abbezahlt.
In der App steht wieder Immo-Konto: 0,00 €.
Unter dem Menüpunkt „Kreditlinie“ ein kleiner Hinweis:
„Ihr Limit wurde automatisch auf 15 000 € erhöht.“

Er scrollt kurz, schüttelt den Kopf.
„Alles wird einfacher“, hatte der Moderator gesagt.
Und vielleicht hatte er recht.
Einfacher für alle – nur nicht mehr ganz freiwillig.


Fazit:
Die Geschichte ist erfunden.
Aber die Mechanik ist realistisch:
Infrastruktur entsteht selten aus böser Absicht – sondern aus Bequemlichkeit, Effizienz und Gewöhnung.
Erst später zeigt sich, wem sie wirklich dient.


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