Bitcoin-Narrative im Rückblick: Warum wir den Zyklus erst im Nachhinein verstehen

Bitcoin-Narrative im Rückblick: Warum wir den Zyklus erst im Nachhinein verstehen
Photo by Mariia Shalabaieva / Unsplash

Die meisten Anleger erleben einen Bitcoin-Zyklus immer „von innen heraus“. Man ist Teil des Geschehens, spürt den Hype, beobachtet die Korrekturen und versucht zu deuten, welches Ereignis welche Kursbewegung ausgelöst hat. Doch das vollständige Bild erkennt man erst im Rückblick. Erst dann lässt sich sauber analysieren, welche Narrative den Markt wirklich getragen haben, wie sich die Preiszonen entwickelt haben – und warum ausgerechnet bestimmte Ereignisse die entscheidenden Weichen gestellt haben.

Wenn wir den jüngsten Zyklus betrachten, lässt sich alles bemerkenswert konsistent in drei große Narrative zerlegen. Und es sind genau diese Narrative, die Bitcoin von 15.500 Dollar bis zum Hoch bei rund 126.000 Dollar getragen haben.

1. Das erste Narrativ: Das Halving als Startschuss

Nach dem Bärenmarkt 2022, der Bitcoin auf etwa 15.500 Dollar gedrückt hatte, brauchte der Markt vor allem eines: ein Thema, das wieder Hoffnung erzeugt. Dieses Thema war das bevorstehende Halving 2024.

Historisch sorgt nicht das Halving selbst für den Anstieg, sondern die Erwartung darauf. Genau das passierte wieder: Ausgehend vom Tief erholte sich Bitcoin zunächst in Richtung 20.000 bis 25.000 Dollar. Die Marktstimmung besserte sich langsam, institutionelle Berichte sprachen wieder von „Strukturaufbau“, und die Erzählung von der Angebotsverknappung wirkte erneut wie ein Magnet.

Das Halving war damit die erste Etappe des neuen Zyklus. Kein spektakulärer Anstieg, aber der notwendige Boden für alles, was danach kam.

2. Das zweite Narrativ: Bitcoin-ETFs und die Hoffnung auf institutionelles Kapital

Das nächste große Thema waren die Bitcoin-ETFs. Zunächst die Gerüchte, dann die ersten konkreten Hinweise, schließlich die Bestätigung.

Dieses Narrativ war deutlich stärker als das Halving, denn es sprach eine komplett neue Zielgruppe an: Anleger, die bisher keinen Zugang zu Bitcoin hatten oder diesen aus regulatorischen Gründen nicht nutzen durften.

Mit den ETF-Erwartungen stieg Bitcoin von der 25.000–30.000-Dollar-Zone in Richtung 35.000 bis 40.000 Dollar. Nach der Zulassung setzten weitere Käufe ein, die Kurse bewegten sich in die 40.000er und 50.000er Bereiche.

Dieses Narrativ war der Motor, der Bitcoin endgültig aus dem alten Bärenmarkt herausgeführt hat.

3. Das dritte Narrativ: MicroStrategy und das „Never Sell“-Modell

Das stärkste Narrativ kam erst spät: MicroStrategy. Michael Saylor und sein fortlaufender Bitcoin-Aufkauf waren in Wahrheit der Katalysator der letzten Übertreibungsphase, die den Markt letztlich bis zum Hoch um 126.000 Dollar getragen hat.

Zwar kaufte MicroStrategy schon früher, aber die wirklich aggressiven Käufe begannen erst 2024 und verstärkten sich 2025. Genau zu dieser Zeit stieg Bitcoin von etwa 60.000 Dollar weiter auf das Zyklushoch. Die Vorstellung eines Unternehmens, das Bitcoin dauerhaft auf die Bilanz nimmt und niemals verkauft, lieferte einen neuen Glaubenssatz: Bitcoin als Bilanzwährung.

Diese Erzählung war der finale Treiber des euphorischen Marktumfelds.

4. Der Wendepunkt: Wenn alle Narrative ausgespielt sind

In jedem Zyklus kommt der Punkt, an dem alle großen Geschichten erzählt sind. Genau hier entsteht der Wendepunkt.

Das Halving war vorbei.
Die ETFs waren genehmigt.
Der institutionelle Zufluss erreichte seinen Höhepunkt.
MicroStrategy kaufte massiv, aber jeder wusste, dass auch dieses Narrativ endlich ist.

Bei etwa 126.000 Dollar setzte der Markt an, ein mögliches Hoch auszubilden. Erst im Nachhinein lässt sich das sauber erkennen. Während des Geschehens ist es immer nur ein Verdacht.

Sobald der Kurs 30 Prozent unter dieses Niveau gefallen ist – in diesem Zyklus von 126.000 auf etwa 85.000 Dollar – war klar: Der Markt hat gedreht. Ein Rückgang dieser Größenordnung ist kein bullisher Dip mehr, sondern der klassische Start des Bärenmarktes.

5. Die Abstiegskaskade: Psychologie im Abwärtstrend

Die Mechanik des Bärenmarktes folgt immer dem gleichen Muster.

Z zuerst verkaufen die rationalen Profiteure – die Anleger, die bei 15.000, 20.000 oder 30.000 Dollar gekauft haben und nun hunderte Prozent im Plus liegen. Sie sichern konsequent Gewinne.

Dann folgen diejenigen, die noch sehr deutlich im Gewinn waren, aber das Gefühl hatten, das Hoch verpasst zu haben. Auch sie sichern ab.

Zuletzt kommen die Kleinanleger. Viele hatten vielleicht einmal große Buchgewinne, sahen 100.000 Dollar auf dem Bildschirm stehen, besitzen heute aber nur noch 40.000 Gewinn. Die Angst, dass dieser Rest auch noch verschwindet, führt zu Verkäufen – selbst wenn der Restgewinn immer noch hoch ist.

Und schließlich gibt es die Gruppe, die gar nicht verkaufen möchte, es aber muss: wegen Steuern, wegen Margin, wegen Liquidität im Alltag oder schlicht wegen Unsicherheit.

Diese Kaskade ist typisch für das spätere Stadium des Zyklus. Sie spült den Markt nach unten und sorgt für die Phase, in der sich schließlich wieder Chancen bilden.

6. Der Blick nach vorn: Die neuen Narrative kennen wir erst in vier Jahren

Das Entscheidende: Genau so wie wir heute die Narrative des vergangenen Zyklus verstehen, werden wir die Narrative des kommenden Zyklus erst rückblickend kennen.

Heute kann niemand sagen, was die treibenden Kräfte zwischen 2026 und 2030 sein werden.
Vielleicht neue regulatorische Strukturen.
Vielleicht souveräne Staatsfonds.
Vielleicht technologische Entwicklungen oder geopolitische Ereignisse.

Was wir aber wissen: Die Struktur der Zyklen bleibt bemerkenswert konstant. Die großen Themen tauchen meist 12 bis 24 Monate vor dem Halving auf. Die Euphorie findet nach dem Halving statt. Und der Bärenmarkt beginnt spätestens, wenn alle wichtigen Geschichten eines Zyklus zu Ende erzählt sind.

Fazit

Rückblickend lässt sich der vergangene Zyklus erstaunlich klar gliedern: Halving, ETFs und MicroStrategy waren die drei zentralen Narrative. Sie haben Bitcoin aus dem Tief bei 15.500 Dollar über mehrere Etappen bis zum Hoch bei 126.000 Dollar geführt. Als diese Narrative ausgespielt waren, setzte die typische Abwärtsmechanik ein.

Genauso wie wir diese Muster heute erkennen, werden wir die Narrative des kommenden Zyklus erst in einigen Jahren verstehen. Doch die Struktur bleibt die gleiche. Und genau deshalb lässt sich der Bitcoin-Markt besser verstehen, als es im ersten Moment scheint.